Fregattvogel
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Fotos: © Anita Selig, 2003. |
Er trotzt sogar Taifunen
Artikel von © Carl-Albrecht von Treuenfels in der FAZ vom 07.08.2001 [https://www.tourbritain.de/birds/fregattvogel.doc]
Der Fregattvogel ist in den Tropen zu Hause und über dem Meer in seinem Element
Der junge Fregattvogel hat es gut. Obwohl
er schon seit mehreren Wochen das Nest verlassen hat, füttern ihn seine Eltern
immer noch regelmäßig. Mindestens einmal am Tag segelt einer der Altvögel
auf seinen langen schmalen Flügeln vom Meer zum Sitzplatz des ausgewachsenen
Jungen, den dieser an der Küste oder auf einer Insel im Geäst eines niedrigen
Baumes bezogen hat. Er muss so beschaffen sein, dass sich zwei der schlanken
Vögel gegenübersitzen können. Denn die Fütterung ist eine längere Prozedur,
bei der es lebhaft zugeht. Besonders der gut 110 Zentimeter lange Prachtfregattvogel
bringt die Zweige kräftig ins Schwanken, mitunter sogar zum Brechen. Die Art
der Prachtfregattvögel ist die größte der fünf Arten innerhalb der mit den
Tropikvögeln, den Pelikanen, den Kormoranen, den Schlangenhalsvögeln und den
Tölpeln zur Ordnung der Ruderfüßer gehörenden Familie Fregatidae. Mit ihrer
Flügelspannweite von 230 Zentimetern gleichen die an den tropischen und subtropischen
Meeren lebenden Vögel manches Ungleichgewicht aus, denn die kleinen Füße geben
kaum Halt. Ihre Laufknochen sind nicht größer als die von Singvögeln. Eine
große Last brauchen sie allerdings auch nicht zu tragen, denn die überwiegend
dunkel gefiederten Prachtfregattvögel wiegen trotz ihrer enormen Körpermaße
nur eineinhalb Kilogramm. Die Weibchen sind größer und schwerer als die Männchen.
Sie sind es auch, die ihrem Einzelkind häufiger Futter zutragen als die mit
einem roten aufblasbaren Kehlsack geschmückten Männchen. Sobald das hellbrüstige
Weibchen gegenüber seinem Jungen gelandet ist, muss es sehen, wie es mit dessen
Ansturm fertig wird. Es tut gut daran, sofort seinen zwölf Zentimeter langen
und am Ende zu einem Haken gebogenen Schnabel weit aufzusperren. Der Jungvogel
steckt dann nicht nur seinen Schnabel, sondern fast seinen ganzen weißen Kopf
und Hals in den geöffneten Rachen seiner Mutter. Es dauert dann allerdings
noch etwas, bis sie die erste Portion Fisch, Tintenfisch oder Krebse aus ihrem
Kropf herauspresst, die das Junge sofort verschlingt. Der Altvogel braucht
zum Hervorwürgen der einzelnen mitunter schon anverdauten Happen jedes Mal
einige Minuten.
Nicht wenige der Mahlzeiten haben zuvor
schon in fremden Kröpfen gesteckt. Wie Raubmöwen leben Fregattvögel nämlich
zu einem gut Teil von der Arbeit anderer Vögel, denen sie im Flug ihre Beute
abjagen. Daher rührt auch ihr Name, denn die Seeleute verglichen die fluggewandten
Tiere mit dem langen gegabelten Schwanz mit schnellen, höchst manövrierfähigen
und gutbewaffneten Fregatten, die von der gegnerischen Marine stets gefürchtet
waren. Sobald ein Fregattvogel bei seinen stundenlangen Segelflügen über dem
Meer, mit Vorliebe in Küstennähe und gemeinsam mit Artgenossen, einen Kormoran,
einen Tölpel, einen Pelikan oder eine Möwe erspäht, prüft er kurz, ob diese
Nahrung im Kröpf haben. Die Schmarotzer scheinen am Flug der anderen Vögel
zu erkennen, ob sich ein Angriff lohnt. Manche der Verfolgten speien ihre
Beute schnell aus. Andere müssen die Fregattvögel, nicht selten zu zweit oder
zu dritt, erst intensiv bedrängen, mit dem Schnabel am Schwanz und an den
Flügeln ziehen und mit gewagten Flugattacken einschüchtern, bis sie sich von
dem Futter trennen. Die Lufträuber fangen die herabfallenden Beutestücke geschickt
auf, bevor diese auf der Wasserfläche oder auf dem Boden landen. Sobald sich
die verfolgten Vögel von ihrer Last befreit haben, lassen die Fregattvögel
von ihnen ab. Sie merken indes sehr wohl, wenn die überfallenen Opfer nur
den kleineren Teil ihres Fangs herausrücken. Dann setzen sie ihnen wieder
so lange zu, bis es einen Nachschlag gibt. Allerdings scheinen sie zu wissen,
dass es unklug wäre, die von ihnen verfolgten Vögel bis zum letzten Gramm
Futter auszuplündern. Dann würden sie sich auf lange Sicht ihrer Nahrungsquellen
für immer berauben. Daher geben sie sich in der Regel mit etwa der Hälfte
des Futters zufrieden.
Nicht immer ist allerdings ein fliegender
Futterlieferant zur Stelle. Den größeren Teil ihrer Nahrung holen sich die
Fregattvögel unmittelbar aus dem Meer. Auch dabei haben sie sich spezialisiert.
Ihr großes Flugvermögen befähigt sie, eine besonders schnelle und überraschend
auftauchende Beute zu jagen: fliegende Fische. Wo die silbrig glänzenden Schwärme
über der Meeresoberfläche in bestimmten Zeitintervallen für einen kurzen Augenblick
auftauchen, finden sich mitunter bald darauf ganze Scharen der Fregattvögel
ein. Aber auch Krebse, Tintenfische und anderes Meeresgetier holen sie im
Tiefflug aus dem Oberflächenwasser. Auf ihren Nahrungsflügen legen sie weite
Strecken zurück. Daher müssen sich die Jungen zwischen den einzelnen Fütterungen
in Geduld üben. Doch ihr Leben ist ohnehin von langen Zeitspannen geprägt.
Sechs bis sieben Wochen dauert es alleine, bis die Eltern das große weiße
Ei ausgebrütet haben. Das anfangs nackte Junge muss fünf Monate warten, bis
es voll befiedert ist. Doch selbst dann verspürt es noch nicht den Drang,
sein Nest zu verlassen. Bis zu weiteren sechs Monaten läßt es sich von seinen
Eltern füttern, und während dieser Zeit entfernt es sich langsam immer weiter
vom Nistplatz. Wenn es nach vielen Flugübungen erstmals in der Lage ist, einem
anderen Vogel Beute abzujagen, beginnt langsam seine Selbständigkeit. Doch
längst nicht alle jungen Fregattvögel bringen es soweit. Wird er nicht während
seiner ersten Lebenswochen ständig von einem der Eltern im Nest bewacht, ist
es schnell um ihn geschehen. Dann nämlich betrachtet ihn ein anderer Fregattvogel
als Beute und verschlingt ihn kurzerhand. Das gilt auch für das Ei. Es darf
keinen Augenblick unbeaufsichtigt bleiben, sonst ist sofort ein Nachbar zur
Stelle, hackt kurzerhand die Schale entzwei und frisst es auf. (Das tun Fregattvögel
übrigens auch mit den Eiern und Jungen anderer Vogelarten.)
Schon während des Nestbaus ist höchste
Vorsicht angesagt. Ständig stehlen sich die Vögel gegenseitig Zweige und anderes
Material, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Trotzdem richten sich die
Fregattvögel mit ihren Brutstätten selbst dort nahe beieinander ein, wo genügend
Raum für Abstand wäre. Der aber ist gerade auf vielen Inseln in den warmen
Meeren, zumal solchen mit Büschen und Bäumen für die Nestunterlage, nicht
überall vorhanden. So kann es auch schon vorkommen, dass der eine oder andere
Fregattvogel dicht über dem steinigem Boden zu nisten versucht. Dort können
sich die Männchen zur Balzzeit weniger gut präsentieren als im Geäst. Aus
der Höhe leuchten ihre aufgeblasenen knallroten Kehlsäcke weiter und einladender
als vom Boden.
Es sind stets die älteren und mit größeren
Werbeballons ausgestatteten Hähne, die für sich die besten Sitzplätze beanspruchen.
Wochenlang senden die Brautwerber täglich viele Stunden ihre farbigen Signale
aus. Lässt sich ein Weibchen blicken, breiten sie ihre Flügel aus, schütteln
ihren Körper hin und her und klappern mit ihrem auf den Kehlsack gelegten
Schnabel. Eine gut besetzte Kolonie sieht aus wie eine mit vielen scharlachroten
Luftballons geschmückte Gartenlaube. Die Kehlsäcke sind im Durchmesser bis
zu 25 Zentimeter groß. Reisenden bietet solche Bilder auf den Galapagos-Inseln
und in der Karibik der Prachtfregattvogel (Fregata magnifi-cens). Besuchern
der polynesischen Inselwelt oder des nördlichen australischen Great Barrier
Reefs der Bindenfregattvogel, der auch auf den Galapagos-Inseln brütet. Adlerfregattvögel
(Fregata aquila) gibt es nur zu wenigen Tausenden auf der im Atlantischen
Ozean westlich von Afrika liegenden und zu Großbritannien gehörenden Insel
Ascension. Deren Männchen prahlen mit ihren roten Hautsäcken ebenso wie die
Weißbauch-Fregattvögel (Fregata andrewsi) auf den Weihnachtsinseln südlich
von Java und die Kleinen Fregattvögel (Fregata minor) auf so fern voneinander
gelegenen Inseln wie Aldabra bei den Seychellen im Indischen Ozean oder Südtrinidad
östlich der brasilianischen Küste im Atlantik.
An ihren vielen anderen Brutplätzen südlich
des Äquators zeigen die verschiedenen Arten ein ähnliches Verhalten: Haben
die aufgeblasenen Ballonträger im Sitzen keinen Erfolg, drehen sie schon mal
einige Flugrunden mit prallem Kehlsack. Selbst mit dieser Luftwiderstand erzeugenden
Behinderung zeigen sie, dass sie zu Recht zu den besten Fliegern unter den
Vögeln zählen. Aber wohl nicht nur deshalb haben die Polynesier lange Zeit
die Bindenfregattvögel als Luftkuriere zur Nachrichtenübermittlung benutzt:
Wie die Brieftauben vermögen die Fregattvögel über große Entfernungen ihre
Heimat wiederzufinden. Und das will in einem aus Tausenden von Eilanden bestehenden
Teilkontinent etwas ganz Besonderes heißen. Doch über dem Wasser schlappmachen
dürfen die Fregattvögel ge nausowenig wie die Brieftauben. Denn trotz ihrer
Bindung ans Meer können sie nicht schwimmen. Aber sie dürfen sich auch nicht
auf flachem Boden niederlassen, denn sie könnten nicht mit ihren fürs Segelfliegen
bestimmten Schwingen starten. Aber sie brauchen sich auch gar nicht auszuruhen.
Das tun sie in der Luft. Dank ihres geringen Körpergewichts, der starken Flugmuskulatur
und der überlangen, aerodynamisch besonders günstig geformten Flügel werden
sie sogar mit dem stärksten Taifun spielend in der Luft fertig. Und das stundenlang.
Dabei kann es ihnen allerdings geschehen, dass sie über große Entfernungen
verdriftet werden. Ob das einem Weißbauch-Fregattvögel widerfuhr, den eine
kleine russisch-deutsche Gruppe von Naturforschern im Mai dieses Jahres über
dem mittleren Bikin beobachtete, einem Zufluß des Ussuri im Fernen Osten Rußlands,
oder ob ihn reine Abenteuerlust etwa fünftausend Kilometer von seinen Brutplätzen
und mehr als zweihundert Kilometer landeinwärts vom Meer fortgelockt hat,
wird sein Geheimnis bleiben.