Backpacking in Schottland

Montag, 11.10.1999

Überquerte am Vormittag die Straße zum Haggis-Büro, um nach meiner Jacke zu fragen. Überhaupt finde ich es witzig, daß die beiden größten Konkurrenzfirmen "Haggis" und "Westpackers" so nahe beieinander sind. Während das Hostel Westpacker gehört und von deren Werbung nur so strotzt, befindet sich der Ein- und Ausgang direkt gegenüber des unübersehbaren gelben Haggis-Büro.
Vom Hostel aus veranstaltet Westpacker fast jeden Morgen (10:00 Uhr) eine kleine Gratis-Tour über die Royal Mile. Was für ein Erstaunen, den gleichen Führer wiederzusehen, der uns von den Clava Cairns nach Culloden gefahren hat und uns dort mit herumführte. Was für eine Überraschung auch seinerseits. Haben uns prächtig amüsiert. Dort stellte sich auch heraus, daß er Geschichte studiert hat. Er wußte sehr interessante Dinge zu erzählen. Bin wirklich froh, daß ich mitgelaufen bin und kann es nur empfehlen. Die Tour sponsort Westpacker und ihre verschiedenen Führer, die gerade in der Stadt sind, führen sie. Am Ende der Tour meinte er nur noch, daß er seine kleine Tochter abholen müsse und daher nicht länger bleiben könne.
Der Ort, an dem er uns verließ, war das "Writer's Museum". Dieses 1622 erbaute Haus beinhaltet nun einen wahren Schatz an Portrais, Relikten und Manuskripten zu den drei größten Schriftstellern Schottlands: Robert Burns (1759-96), Sir Walter Scott (1771-1832) und Robert Louis Stevenson (1850-1894). Die Sammlungen sind außergewöhnlich, die Stevenson-Collection ist sogar die bedeutendste überhaupt. (Nachtrag 2002: Soweit ich gehört habe, ist J.R. Rowling ebenfalls hier ausgestellt - die bekannte Autorin von "Harry Potter".)
Ich verbrachte noch eine Weile in dem Literaturmuseum und sah mir dann diverse Sehenswürdigkeiten der Stadt an: den Holyrood Palace, den Berg [ja, ich weiß, ich muß das irgendwann mal nachschlagen], ... Halb sechs holte ich meine Regenjacke aus dem Haggis office und beantwortete verschiedene Fragen von Touris, die gerade angekommen waren. Die Angestellte hatte mit offensichtlich großer Freude auf mich gewiesen und mich um etwas Entlastung gebeten. Da ich eine wirklich schöne Reise gehabt hatte, gab es für mich auch keinerlei Gewissenskonflikt, den Leuten irgendwelchen Humbug auftischen zu müssen.
Am Abend lernte ich noch ein paar Leute kennen: Australier und Südafrikaner, soweit ich mich erinnerte. Ich versuchte sie davon zu überzeugen, mich beim Eerie Pub Crawl zu begleiten. Dabei muß man insgesamt 10 Drinks (egal was) in 5 verschiedenen Bars in der Altstadt drinken. In jeder Bar mindestens einen. Das ganze ist nicht auf einen Abend beschränkt und man kann es durchaus auf einen Monat oder noch länger ausdehnen. Für jeden Drink bekommt man auf ein Kärtchen einen Stempel. Das Gute daran ist, daß man auch Stempel für seine Saufkumpanen beziehen kannt, solange sie nicht selbst Stempel sammeln. Das Ende ist ein recht vergnüglicher Abend in interessant ausgestatteten Kneipen und ein (schwarzes) T-Shirt (mit Druck natürlich).
Nach wirklich viel Überredungskunst schaffte ich es dann auch, die Leute von dem Unterhaltungswert der Pubtour zu überzeugen. Aber wir blieben dann in einer Bar hängen, in ....... Dort sammelte ich sechs Stempel und beschloß, mir während des nächsten Tages die restlichen zu besorgen. Vor allem die Einrichtung war interessant. Alles war irgendwie mit Skeletten, Tod, Spuk, Horror und Geistergeschichten verbunden.

Dienstag, 12.10.1999

Der Tag war an sich wenig spektakulär. Am späten Vormittag klapperte ich die restlichen Pubs ab, um mein T-Shirt zu bekommen - der Ehrgeiz hatte mich gepackt. Ich traf auch eine Menge netter Leute und habe mich gut mit ihnen unterhalten. Bei meinem Stadtbummel erstand ich eine Menge "Scheibenwelt-Bücher" von Terry Pratchett (soviel, wie noch in meinem Rucksack Platz war), ein paar CD's (u. a. auch die von James in Inverness empfohlene CD von Shooglenifty), schlenderte durch verschiedene Läden, spazierte durch irgendwelche Parks und dunkle Gassen (zum Glück ungefährlich - es sei denn, man glaubt an Geister - siehe Geistertouren 21.9.) und versuchte, mich wieder an das "Großstadtfeeling" zu gewöhnen. Alle Leute kamen mir so gekünstelt, unfreundlich und so hektisch vor ...
Mit leichter Verspätung fuhr der Bus abends halb zehn nach London ab.
Als die letzten zu Schottland gehörenden Landschaften hinter mir im Dunkeln zurückblieben fühlte ich mich zwar ein wenig traurig, aber gleichzeitig war mir auch leicht ums Herz. Ich glaubte, ich würde nicht zurückkehren und meine Zukunft führe mich in den Rest der Welt, in ferne Länder und Kontinente. Ich nahm Abschied, konnte mich aber eines gewissen Heimatgefühles für Schottland nicht erwehren. Eigentlich sehr merkwürdig. Es war, als würde ich irgendwann wiederkommen - aber ich hatte dazu weder Veranlassung, noch den Wunsch oder auch nur den geringsten Plan. Für mich war die Gegend auf der Landkarte abgehakt.
Nachtrag 2007: Den oberen Absatz schrieb ich vor vielen Jahren. Inzwischen bin ich mehrmals nach Schottland zurückgekehrt, da mein - viel später kennengelernter - Lebensgefährte hier seine Heimat hat und ich nun auch familienmäßig mit diesem Fleckchen Erde verbunden bin. Wer hätte das je vermutet! Aber so kann ich mir zumindest das Gefühl von damals erklären: den Abschied, der sich wie keiner anfühlte, die fast sichere Gewißheit zurückzukehren, obwohl ich dazu nicht die geringste Absicht hatte.

Mittwoch, 13.10.1999

Waren sieben Uhr früh in London und nachdem ich mein Gepäck in die Aufbewahrung abgegeben habe, bin ich herumgeschlendert.
Dieses Mal lenkten mich meine Schritte in Richtung Buckingham Palace, der Residenz der königlichen Familie. Ich lief dort ein wenig in der Gegend herum und gönnte mir im Park zwischen dem Palast und den gegenüberliegenden Ställen ein wenig Ruhe. Muß peinlicherweise gestehen, daß ich dann auf einer Bank im Park eingeschlafen bin. Möchte nicht wissen, was die Leute dachten. Ob ich wie ein Penner aussah? Oder tatsächlich nur wie das, was ich war: eine übermüdete Backpackerin? Wahrscheinlich ein bißchen von beidem.

Auf dem Rückweg zum Busbahnhof landete ich in einer Parade vor dem Buckingham Palace. Mußte extra deswegen einen riesigen Bogen laufen und fürchtete schon, nicht rechtzeitig einzutreffen. Um 14:30 Uhr fuhr der Bus nach Berlin ab.

Und diese Fahrt ist wirklich erwähnenswert! Es war nämlich die schrecklichste Busfahrt meines Lebens: ich wollte schlafen und die Tussi hinter mir (eine etwa 16/17jährige Französin, die kein Englisch konnte) ließ mich nicht in Ruhe. Sie schüttelte meine Lehne (mit Absicht), "berührte" mehr als einmal meinen Kopf von oben (ich hätte sie einmal fast dafür geschlagen, obwohl ich eigentlich überhaupt nicht zur Gewalt tendiere) und redete ununterbrochen die ganze Nacht hindurch. Dann flirtete sie mit irgendwelchen Afrikanern, die mich daraufhin schief anblickten und auf dem Sitz neben mir zur unfreiwilligen Bewegung meines Sitzes beitrugen. Irgendwann wurde es mir zuviel und ich erklärte den Jungs äußerst übelgelaunt in flüssigem Englisch (welches sie mir wohl nicht zugetraut hatten), was ich von ihnen und dem pubertären Verhalten ihrer Angebeteten hielt. Erstaunlicherweise fingen sie bald darauf an, mich vor der Französin zu verteidigen, die daraufhin erst recht in Wut geriet. Womit ich ihren Ärger in erster Linie eingehandelt habe, ist mir bis heute nicht klar. Leider konnte ich auch den Sitz nicht wechseln, da der Bus proppenvoll war. Ich versuchte sie und vor allem ihre Anwesenheit krampfhaft zu ignorieren (jaja, ich weiß, das hat sie wahrscheinlich nur noch mehr geärgert). Glücklicherweise mußte ich in Hannover den Bus wechseln und hatte sie vom Hals. Witzigerweise fuhren die Afrikaner auch nach Berlin und wollten sich mit mir verabreden ... ich habe sie nur böse angeblickt und ihnen insgeheim die Unterhaltung mit dem Mädchen übelgenommen. Zu diesem Zeitpunkt sehnte ich mich nur noch nach Ruhe und einem Platz zum Schlafen - egal wie unbequem und laut, Hauptsache, man ließ mich in Ruhe.

Donnerstag, 14.10.1999

Ein paar Stunden später erreichten wir unser Ziel - verspätet - in Berlin am Zoologischen Garten (9:00 Uhr). Dort hatten die Zollbeamten offensichtlich einen Tip bekommen, denn wir durften nicht aussteigen und unser ganzes Gepäck wurde ausgeladen. Danach wurde es von einem Hund beschnüffelt und "belatscht". Igitt! Wir verbrachten noch über eine halbe Stunde im vollgestopften Bus. Langsam bekam ich Platzangst! Wurde allerdings dann auf meine Beschwerde hin und meine gespielte Nörgelei ("ich komme gerade aus Schottland und nicht aus England oder Amsterdam") herausgelassen und marschierte schnurstracks zur U9, um nach Hause zu fahren. Möchte nicht wissen, wie lange die anderen im Reisebus bleiben mußten.
Zu Hause angekommen, rief ich daheim in Sachsen an. Ich beruhigte meine Mutter mit meiner heilen und unversehrten Ankunft in Deutschland, legte ich mich ins Bett und schlief ein ....

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