Backpacking in Schottland
Entscheidungsfindung und Vorbereitungen
Irgendwann am 15. oder 16.
September im Jahre 1999 sortierte ich meine ganzen Unterlagen (Papiere, Buchhaltung,
Registraturen, ...) und versuchte, einen Überblick über meine finanzielle
Lage zu bekommen. Nach einiger Zeit dachte ich, ich hätte mich verrechnet.
Trotz mehrmaligem Überprüfen stellte ich tatsächlich fest, daß ich mich beim
Arbeiten und Planen um 2000 DM verschätzt hatte - zum Positiven hin! Ich saß
etwas irritiert da - immerhin hatte ich nun 2000 DM mehr, als ich eigentlich
vermutete und daher brauchte. Und es war Mitte September - zu spät, um noch
mit dem Lernen für eine bestimmte Prüfung anzufangen, aber noch immerhin einen
ganzen Monat bis zum Semesterbeginn! Sofort dachte ich an Urlaub und Reisen.
Es war ja auch geplant, mein gesamtes erarbeitetes Geld entweder für meine
Tiere oder für Reisen auszugeben.
Nun
hatte ich mehrere Ziele aufgeworfen und wieder durchgestrichen - zuletzt blieben
Schottland und Griechenland übrig. Meine endgültige Entscheidung fiel auf
Schottland. Zum einen ist es dort um diese Jahreszeit klimatisch noch erträglich
und die größten Touristenströme sind schon weg und zum anderen kann man auch
im Winter nach Griechenland fahren - in Schottland ist es dann zu kalt und
zu kompliziert (weil alles geschlossen) zum Reisen. Und ein Monat ist eine
gute Zeitspanne für die Gegend.
Ich sprach mit ein paar Freunden, die schon
dort waren, kaufte mir den Lonely Planet von Schottland, organisierte am nächsten
Tag eine Fahrkarte nach London und fühlte mich allgemein sehr beschwingt.
Noch ein paar zusätzliche Einkäufe wie Lebensmittel und Pflaster erledigt,
meinem Mitbewohner den Kühlschrankinhalt zur Verfügung gestellt, Geld getauscht
und das Schwierigste: meinen Eltern und insbesondere meiner Mutter von meiner
Spontanidee berichtet. Die Reaktion war vorauszusehen: "ALLEIN??!!"
Nur wenige Tage später:
Verbrachte den Nachmittag damit, fieberhaft meine Sachen zusammenzupacken und überprüfte den Inhalt meines Rucksackes mit einer während der letzten Tage erstellten Packliste. Der Bus nach London fuhr (offiziell) 20:00 Uhr vom Zoologischen Garten in Berlin ab. Wir mußten in Amsterdam zeitig morgens umsteigen. Ansonsten war die Anreise ereignislos und langweilig und ich verschlief den größten Teil davon - wie fast alle Bus-, Bahn- und Flugzeugfahrten.
In London angekommen besorgte ich mir als erstes ein Ticket für den Bus nach Edinburgh am gleichen Abend und kaufte auch gleich noch eine Telefonkarte für fünf Pfund, die sich im Verlauf der Reise als unabdingbar erwies. Den Rucksack ließ ich dann auf dem Busbahnhof unter Bewachung und stürzte mich in die Innenstadt der Metropole. Die Suche nach Frühstück war zwar erfolgreich, erinnerte mich aber unangenehm an den mir leider nicht so ganz zusagenden britischen Geschmack des Essens. Ich setzte meine Tour fort und fand dann irgendwo eine zeitweilige Ausstellung. Der Rest des Tages verlief relativ ruhig. Ich schlenderte herum, sprach mit ein paar Leuten und fing an, mich wie ein richtiger Tourist zu fühlen.
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Halb neun abends ging es weiter nach Edinburgh (Edinborough). Der Bus war relativ voll, aber ich konnte einen Fensterplatz ergattern und verschlief auch diesen Teil der Reise größtenteils. Ich kann diese Reiseplanung (mit dem Bus abends fahren) nur jedem empfehlen. So spart man viel Zeit (Tageszeit) und kann das Heraufdämmern des Morgens gut vom Bus aus beobachten. Es ist großartig. Anmerkung (Ende 2001): Bei den jetzigen Flugpreisen ist die schnellere Luftreise eigentlich auch eine fabelhafte Anreisemöglichkeit. Aber damals war es noch zu teuer.
Leider mußten wir gegen
vier oder fünf Uhr morgens noch einmal umsteigen. Sehr unbequem, da ich gerade
so schön geschlafen hatte und die Luft außen zwar herrlich klar, aber klirrend
kalt war.
Nachdem ich mich hingesetzt hatte, wurden im neuen Gefährt alle
Sitze um mich herum von den Indern besetzt, die mich ohnehin schon auf der
Fahrt bis dahin angestarrt hatten. Ich fühlte mich genervt, was aber nur eine
geringe Gefühlswoge war, die ich schnell vergaß, als das Ausziehen ihres Schuhwerks
die Überlastung meiner sämtlichen Geruchsnerven zur Folge hatte. Ich glaube
nicht, jemals einen schrecklicheren Fußgeruch bis heute erlebt zu haben (merkwürdig,
in indischen Gebieten habe ich so etwas nie bemerkt). Und ich habe mehrere
Mülldeponien mitsamt ihrem mir zu jetzigem Zeitpunkt lieblich erscheinendem
Duft besichtigt und im Praktikum Hausmüll und Biomüll sortiert!!! Außerdem
habe ich mehrere Monate bei einem Praktikum auf einer Müllumladestation verbracht!
Irgendwie überstand ich diese Tortour dann doch und erfreute mich am Morgengrauen
und dem Sonnenaufgang (das war ohnehin die einzig erträgliche Richtung, die
Nase zu halten).
Gegen 7 Uhr hielten wir
dann an der Busstation in Edinburgh. Bei einem Toilettengang dort traf ich
auf ein Mädchen, das mit mir gemeinsam im Bus angekommen war. Sie hatte noch
keine Idee, in welches Hostel sie gehen würde. Also schluß ich ihr vor, mit
mir gemeinsam zum "High Street Hostel" zu laufen. Es liegt direkt an der Royal
Mile und gegenüber dem unübersehbaren Haggis office. Als ich das erste Mal
dorthin kam, war das Reisebüro noch an der Ecke und blau gestrichen. Am Ende
meiner Reise war das ganze Geschäft total verändert, hatte einen anderen Eingang
und prankte in leuchtendem Gelb.
Einen Platz im Hostel zu bekommen erwies
sich zu dieser Jahreszeit als kein Problem und wir quartierten uns für eine
Nacht ein. Netterweise nehmen fast sämtliche Hostels in Schottland VISA als
Bezahlung an .. sehr bequem. Das Bargeld habe ich lediglich für Eintrittspreise,
Lebensmittel und Kneipentouren ausgegeben. (Ich hatte etwa 600 DM umgetauscht.)
Unser Glück wollte es, daß das Frühstück noch serviert wurde. Wir machten
es uns in der großen Eßhalle gemütlich und frühstückten. Das Zimmer ist sehr
interessant gestaltet. Die Dekoration ist gemalt und mit den Landschaften
hat sich offensichtlich jemand Mühe gegeben. Es lohnt sich auf jeden Fall,
zumindest mal einen Blick in den Raum zu werfen.
Die
blonde Südafrikanerin und ich gingen danach zum "Edinburgh castle".
Es befindet sich am oberen Ende der Royal Mile. Das untere ziert der "Holyrood
palace". Der Eintritt ist nicht gerade billig, aber das Schloß ist interessant.
Man sollte sich mindestens einen halben Tag - besser noch länger - dafür Zeit
lassen. Punkt ein Uhr mittags wird eine Kanonenkugel abgefeuert. Die Parade
dafür ist so pompös, wie man es von Briten erwartet. Die Steifheit der schottischen
Kanoniere bei der ganzen Aktion zu sehen, ist allein den noch laut nachklingenden
Knall in den Ohren wert.
Das Schloß besitzt eine ausführliche Dokumentation der militärischen Geschichte samt diversen Ausstellungsstücken. Am meisten beeindruckte mich eine kleine Kapelle, die schon mit wenigen Menschen einen überfüllten Eindruck machte. Sogar ICH mußte mich bücken, um durch die Tür zu treten. Innen war es eng und die Decke war sehr niedrig. Trotzdem strahlte der Raum Alter, Erhabenheit und Ruhe aus. Ich hatte das Glück, eine kleine Weile allein in der Kapelle zu sein - das Gefühl ist unbeschreiblich. Die St. Margaret's Chapel wurde vor mehr als 900 Jahren im normannischen Stil zu Ehren der heiligen Frau von König Malcolm III. erbaut. Aufgrund seiner religiösen Bedeutung wurde das Gebäude niemals von den verschiedenen Zerstörern und Eroberern des Schlosses angerührt. Mitglieder der Schloßgarde haben noch heute das Recht, in dieser Kapelle heiraten zu dürfen. Soweit ich hörte, nehmen alle immer noch freudig von diesem Vorrecht Gebrauch. Eine Geschichte der Kapelle faszinierte und berührte mich besonders: das Schloß wurde gerade wieder einmal von Eroberern gestürmt und eine Frau (die Schloßherrin?) verkroch sich in der Kapelle. Obwohl um sie herum die Schlacht tobte und sie sich umringt sah von feindlichen Kämpfern, blieb sie im Raum. Die Feinde ließen sie in Ruhe. Allerdings bin ich mir nicht mehr sicher, ob es wirklich St. Margarets Kapelle war. Ich erinnere mich an einen winzigen Raum, den man nur in gebückter Haltung durch eine niedrige Tür betreten konnte. Ich stellte mir vor, wie um das Gebäude herum gekämpft wurde und der Raum erschien mir immer kleiner …. Als ob man in einer wackligen kleinen Hütte unter einem Strohdach einem sehr starken Sturm trotzen muß.
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Als wir das Schloß wieder
verließen, trennten wir uns kurz vor dem Hostel und jede lief in eine andere
Richtung davon. In der tourist information besorgte ich mir eine Menge Infos
über Schottland. Wollte sie in Ruhe durchgehen und entscheiden, was ich überhaupt
machen wollte und wo mein nächstes Ziel liegen würde. Der einzige Ort, von
dem ich wußte, daß ich ihn sehen wollte, war das Eilean Donan Castle.
Zurück im Hostel hatte sich mir gegenüber eine australische Krankenschwester niedergelassen.
Überhaupt lernte ich bei der Reise nicht nur eine australische Medizinerin
(insbesondere Krankenschwestern) kennen. Offensichtlich ist es bei diesem
Beruf in Australien schon Tradition umherzureisen. Eine Art schottischer "Walkabout".
Sie war schon seit fünf Monaten unterwegs und inzwischen etwas unzugänglich
geworden. Sie hatte gerade das Stadium erreicht, daß ich in Berlin auch mal
kurz hatte: immer nur neue Leute kennenlernen, immer die gleichen Gespräche,
... langweilt und nervt. Naja, wir kamen trotzdem ins Gespräch und sie machte
mich auf Haggis aufmerksam. Ich hatte immer noch keine Entscheidung getroffen
und lief erst einmal über die Straße, um mich dort nach ihren Angeboten zu
erkundigen.
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Nach einer Weile Lesen, Quatschen, Rechnen und Überlegen entschloß ich mich kurzerhand dazu, die "Highland Fling - Summer Flexi" zu buchen. Dabei wird man mit Busen von einem Ort zum anderen gefahren, kann dort so lange bleiben wie man möchte und dann nach einem Anruf auf den nächsten aufspringen ("Jump on - Jump off"). Habe festgestellt, daß es für mich zeitlich günstiger ist. Außerdem sparte ich es mir somit, mich ständig nach offiziellen Busfahrplänen erkundigen und mich danach richten zu müssen. Und die Haggis-Busse würden mich auch mehr oder weniger direkt vom Hostel abholen und mir für weitere Informationen zur Verfügung stehen. Außerdem machen sie Umwege, um uns zu Aussichtspunkten oder anderen schönen Stellen zu fahren, die ich mit offziellen Bussen nicht sehen würde. Sehr praktisch.
Meine Tour verlief folgendermaßen: Edinburgh - Pitlochry - Inverness - Loch Ness - Ullapool - Kylakin/Kyle of Lochalsh (Übergang zu Isle of Skye) - Corpach - Ben Nevis - Fort William - Glen Coe - Oban - Loch Lomond - Glasgow - Edinburgh. Ich mußte nicht an allen halten und für meine Tour hatte ich ein Jahr lang Zeit ....
Die halbe Belegschaft unseres Zimmers beschloß, gemeinsam durch die Stadt zu bummeln. Wir spazierten in Edinburgh umher, probierten ein leckeres vegetarisches Restaurant auf der anderen Seite des Berges und versammelten uns um acht abends für die Ghost- & Ghouls-Tour. Das ist eine der Horror-Touren, die auf farbenprächtigen Plakaten entlang der High Street angepriesen werden. Die einzige angebotene Tour übrigens, auf der man danach einen wohlverdienten kostenlosen Drink in einer Bar bekommt. Man bekommt Studentenrabatt - zeigt man seine Haggis-Karte vor, ist die Ermäßigung sogar noch höher. Die Touren sind nächtliche Spaziergänge durch die Altstadt, durch Katakomben, durch alte Gänge unter der Straße - kurzum, Orte, von denen schaurige Geschichten und Legenden erzählen. Eine solche Tour sollte man bei einem Edinburgh-Besuch unter keinen Umständen auslassen.
Es war auch wirklich schaurig. Habe darauf geachtet, daß sich immer jemand zwischen mir und der Wand befand und daß ich in der Mitte lief. Die Australierin hat sich netterweise auch dicht neben mich platziert, als sie merkte, daß ich mich wirklich gruselte und anfing, leicht an Platzangst zu leiden. Die Geschichten sind sehr interessant und man lernt auch eine Menge Geschichte über die Stadt und bekommt einen Einblick in das damalige Leben. Auf jeden Fall habe ich trotz meiner Abneigung gegen Whisky denselben danach dringend gebraucht. War auch extrem glücklich, nicht allein im Zimmer übernachten zu müssen ....