Backpacking in Schottland

Ich hatte die Etappe bis Ullapool angegeben. Der Fahrer war Kenny, über dessen unrühmliche und amüsante Entlassung aus der Armee ich bereits von einem früheren Fahrer informiert worden war. Es ging dabei um Alkohol, eine Kanonenkugel, ein totes Zuchtschaf und eine Menge verärgerter Leute - vor allem Bauern. Wie ein Soldat kam er mir aber nicht vor: klein, zerzaust, lustig und offen. Ein schottischer Schalk, der, wie es scheint, keine Atempausen braucht. Er redete fast ununterbrochen. Ein Glück für mein fließendes Englisch - diesen schottischen Akzent in einer solchen Geschwindigkeit hätte ich sonst nicht verstanden. Wie schon am Vortag hielten wir an der gleichen, offensichtlich sehr populären Stelle am Loch Ness. Kenny überredete einige von uns - inklusive mir - die Schuhe auszuziehen und im eiskalten Wasser herumzustapfen. Der Köder war ein Foto. :-) Hat aber Spaß gemacht und ich kann nun von mir behaupten, im gleichen Wasser gestanden zu haben, in dem Nessie schwimmt.

Der nächste Stop ist eine Jugendherberge bei Loch Ness. Ich bin dort nicht abgestiegen. Lohnt sich auch nicht wirklich. Irgendwie sah die Jugenherberge eher wie ein Vorgarten, als wie ein Hostel aus. Außerdem kann man bei dem See von Inverness aus fast überall hin. Zeitlich also eher eine Verschwendung, wenn man wie ich nur einen Monat zur Verfügung hat - zumindest meiner Meinung nach.
Durch die atemberaubenden Highlands des Nordens kamen wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit in Ullapool an. Die Landschaft auf der Fahrt war wirklich großartig - wild und einsam; man kann sich richtig in irgendwelche Romane hineinversetzen, in denen von den wilden schottischen Hochlandkriegern die Rede ist. In Wirklichkeit jedoch waren die meisten Hochlandadeligen ausgesprochen gebildet und kultiviert. Was sollten sie auch sonst an den langen Winterabenden machen, wenn nicht lesen?

In Ullapool stieg ich im West House Hostel ab. Der Hotelmanager heißt Richard. In diesem Hostel übernachten auch die Haggis-Fahrer, bevor sie sich wieder auf den Weg in den Süden machen. Das Hostel ist genial. Es kommt dort eine richtig heimelige Atmosphäre auf. Die Badezimmer haben sogar Teppiche! Irgendwie fühlt man sich dort wie daheim. Und die Küche ist auch sehr gut ausgestattet - auch mit den nötigen übergroßen Töpfen, die man für die Krabben und Garnelen braucht. Man hat hier auch die Möglichkeit, ins Internet zu gehen, was aber auch nicht unbedingt billig war. Dieses Angebot habe ich natürlich nicht ausgenutzt. Nicht wegen des Geldes, sondern weil ich im Urlaub war und vier Wochen ohne meine gewohnte Umgebung verbringen wollte.

Ullapool ist ein kleines, verschlafenes Nest (in meiner Erinnerung jedenfalls) mit etwa 800 Einwohnern. Es ist der Hauptort in diesem Abschnitt der Westküste und ein wichtiger Fischerhafen. Kleine Kutter und schwimmende "Herings-Fangfabriken" schaukeln ächzend am Kai, beim Flanieren an der Hafenpromenade kitzelt der leicht modrige Geruch nach Hafen und Salzwasser in der Nase ... Es gibt Fährverbindungen 'raus nach Lewis, der schönsten Insel der Äußeren Hebriden. In Pier-Nähe ist ein kleines Lokalmuseum, wofür ich jedoch keine Zeit mehr hatte und auch irgendwie nicht so richtig Lust aufbrachte.

Kenny erzählte uns von Garnelen-Schiffen, die jeden Tag frische Ware bringen würden und wo man die noch lebenden Tierchen direkt vom Schiff billig kaufen kann. Außerdem machte er uns auf den "besten" Haggis von ganz Schottland aufmerksam und beschrieb uns ausführlich die Lage des Imbisses und des besten Pubs in der Stadt, in dem die Einheimischen abends nach ihren Fangtouren absteigen. Wenn man dort einen der Seeleute anspricht, kann man sich teilweise kostenlos auf die umliegenden Inseln mitnehmen lassen oder sogar eine Fangtour mitmachen. Man kann auch früh ganz zeitig aufstehen und dann am Hafen fragen. So spart man sich teilweise die Fährpreise. Meistens verlangen die Fischer jedoch etwas. Die Fischerboote laufen kurz vor Sonnenuntergang wieder ein. Am einfachsten erfragt man im Hostel dem besten Zeitpunkt.
Ein Mädchen (eine israelische Langzeitsoldatin) und ich begaben uns zum Hafen und kamen noch rechtzeitig zu einem Boot, daß lebende Krabben gerade in die Tanks entleerte. Pro Stück wollte der Matrose ein Pfund haben und ich holte mir zwei. Er gab mir riesige Tiere, die sich panisch in ihren Plastetüten bewegten. Wir hatten unglaubliches Glück. Während Garnelen (prawns) jeden Tag gefangen werden, kommen Krabben nicht so häufig, wie ich von den Hostelmanagern erfuhr - vielleicht einmal pro Woche. Wir erzählten Kenny von unserem Fund. Er war total pleite, konnte sich aber gerade noch so ein Pfund zusammenklauben und stiefelte los. Wir bereiteten unser Mahl dann alle gemeinsam unter Kennys Anleitung zu.
Die noch lebenden Krabben werden in kochendes Wasser geworfen und etwa 15 Minuten (bis sie rot) werden gekocht. Ja, ich weiß, das klingt grausam, aber wir hatten Hunger! Kenny organisierte einen großen Stein aus dem Vorgarten, mit dem wir die Krabbenpanzer zertrümmerten, um an das Fleisch zu kommen. Er mußte Richard extra versprechen, den Stein wieder an genau die gleiche Stelle zu legen. Ich konnte nicht das ganze Krabbenfleisch aufessen und so gab ich den zwei Hunden, die uns bettelnd anblickten, den Rest. Wir unterhielten uns noch eine Weile, besahen uns die Fotos der "Tour to the North" und gingen dann schlafen.

Dienstag, 28.09.1999

Frühmorgens nach dem Aufstehen ging es in die tourist information. Der alte Mann konnte mir zwar nicht mit einer Karte helfen (die gibt's normalerweise kostenlos, war aber vergriffen), hat mir aber den Weg genau beschrieben. Der Pfad hieß "Hill walk". Ich bin auf den Berg gestiegen. Von oben hat man eine atemberaubende Aussicht auf ganz Ullapool, auf das Meer und die Highlands auf der anderen Seite. Unterwegs begegnete ich nur einem einzigen Einheimischen. Ich bin dann noch etwas tiefer einfach so ohne Weg in die Landschaft hineingegangen.

Für alle, die dies auch vorhaben: Man braucht beim Abweichen vom Weg gute Schuhe und muß aufpassen, da das Heidekraut ("heather") zwar recht guten Halt über die Unebenheiten gibt, aber teilweise auch Löcher überdeckt, in die man je nach Gewicht einsinken kann. Außerdem wächst es nicht so niedrig und wird, da es ein hölzernes Gewächs ist, billige Schuhe ziemlich kaputtmachen - nehme ich zumindest mal an.
Ich habe mich nach einer Weile ein Stück nach links gehalten und kam auf einen Weg, der zu einem See führte. An dessen Ufern ging es immer weiter ins Land. Dann kam ich an einen Pfad, der zu einem halb verfallenen Haus führte. Über diesen Pfad waren ab und zu "Rinderfallen" gelegt. Das sind Gitter mit recht großen Maschenabständen, in die Kühe wahrscheinlich hineintreten würden … ein billige, aber sehr effektive Methode, die Tiere im Gelände zu halten, ohne einen Zaun aufzustellen. Autos und Fußgänger können ohne Probleme darüber hinwegfahren bzw. -gehen. Somit spart man sich das ständige Auf- und Zusperren der Hoftür …

Der Weg verlief durch den Hof und dahinter über einen sehr schmalen, glitschigen und leider auch schon angebrochenen Holzbalken, der über einen Zufluß des Sees auf die andere Seite führte. Ein Extraschild warnte den Passanten vor dem unzuverlässigen Stück Holz. Ich ging trotzdem - sehr vorsichtig - darüber. Zum Glück wiege ich nicht so viel und hatte auch kaum Gepäck dabei. Auf der anderen Seite ging es wieder zurück. Teilweise verlief der Weg oben auf dem "Paß" und man hatte eine sehr gute Sicht über den See und in die nächsten Täler. Irgendwann wurde der Weg zu einer befahrenen Schotterstraße. Ich passierte ein Sortierwerk, daß ich mir - studienbedingt - genau anschaute. Obwohl mir ein paar Lastfahrer anboten, mich wieder zurück ins Dorf mitzunehmen, lief ich lieber und kam irgendwo recht weit oben im Dorf wieder heraus.

Eine luxuriöse Dusche und etwas Schmökern im Lonely Planet später ging es wieder zum Hafen, um auf die einlaufenden Schiffe zu warten. Diesmal wollte ich Garnelen oder Schrimps kaufen. Die meisten Schiffe waren schon eingelaufen, aber es wurde noch eines erwartet. Da mir das Warten langweilig wurde, ging ich zu dem Häuschen zurück, in dem der Fang gewogen wurde. Dort bemerkte ich einen großen weißen Pyrinäenhund. Ich bewunderte die Hündin, die mich anfangs verbellte, und kam dann mit dem Besitzer ins Gespräch. Es war ein älterer Mann, mit dem ich mich über britische Politik, DDR und Menschen im allgemeinen unterhielt. Es war sehr interessant und ich vergaß fast das Boot, auf das ich wartete. Dann endlich meinte jemand, ein Boot käme und ich wollte mich verabschieden, um Garnelen zu kaufen. Dabei stellte sich heraus, daß mein Gesprächspartner der Besitzer des einlaufenden Bootes war! Welch eine Überraschung! Er schenkte mir einen ganzen Beutel voll und gab mir genaue Anweisungen, wie ich sie am besten zubereiten sollte.
Ich befolgte seinen Ratschlag. Die (auch noch lebenden) Garnelen werden in einen großen Topf mit kaltem Wasser geworfen. Dann wird das Wasser zum Sieden gebracht. Kurz, bevor das Wasser kocht, werden die inzwischen rot gewordenen Tierchen in kaltem Wasser abgeschreckt und dann serviert. Es schmeckte einfach phantastisch. Vor allem mit Zitronensaft. (Nachtrag: Heute würde ich die Tiere nur in kochendes Wasser geben - aber damals dachte ich nicht daran.)

Natürlich dauerte das Schälen der Langusten eine ganze Weile, aber die Mühe war es wert. Man sollte übrigens darauf achten, lieber die großen Tiere zu nehmen. In den kleinen ist kaum Fleisch und man braucht ewig, ehe man mit der Vorbereitung fertig wird. Bis dahin ist man entweder halb verhungert oder hat sie beim Schälen schon alle aufgegessen. Außerdem schmeckt man bei den größeren Tieren den Eigengeschmack besser heraus und sie munden dadurch noch besser.
Ich habe hier auf Kennys Ratschlag hin auch Haggis probiert. Der Imbiß ist direkt neben dem Pub "Seaforth Inn". Es scheckt tatsächlich sehr gut. Ich habe meine Portion mit ins Hostel genommen und dort verdrückt. Das war übrigens das einzige Säugetier-Fleisch, das ich während meiner ganzen Reise gegessen habe und es war Schafsfleisch. Wenn ich mir also BSE geholt habe, dann sicher nicht in Schottland! (Das andere Fleisch war Hähnchen beim Barbeque auf Skye.)
Fehlendes Gemüse wie Zitronen, Tomaten, Gurken, ... und Brot (sehr passend auch für die ganzen Meerestiere) habe ich mir im Supermarkt besorgt, der idealerweise auch auf direktem Weg zu den Piers liegt. Und später dann traf ich im Hostel ein israelisches Pärchen auf Hochzeitsreise. Der Mann war wesentlich lustiger als die Frau und wir haben viel zusammen gelacht. Wir haben uns auch sofort verstanden .... "Juden der Welt" Sie stammt aus einem Kibbuz und kann deshalb nicht kochen. ??? Diese mir von ihrem frischgebackenen Ehemann erläuterte Tatsache ist mir aber irgendwie nach so vielen Jahren immer noch etwas unklar. Zumindest die Grundlagen lernt man doch. Oder vielleicht doch nicht? Jedenfalls gab mir der Mann schriftlich(!) einen Zettel mit: "Frauen haben in der Küche nichts zu suchen und sollen draußenbleiben." :-))) Habe sie glücklicherweise überreden können, an der "Tour to the North" teilzunehmen. Diese findet nämlich nur mit einer Mindestanzahl von vier Personen statt. Im Sommer stellt die Teilnehmerzahl kein Problem dar, aber jetzt sind manchmal nur wenige Leute anwesend. Wir waren nun also genau vier …

Mittwoch, 29.09.1999

Tour to the North: (diesen Teilbericht schreibe ich irgendwann einmal, wenn ich wieder Zeit und Lust habe. Bis jetzt ein paar Fotos dieses Tages.)

Als wir von der Tour zurückkamen, waren Neuankömmlinge in rauher Zahl vorhanden. Vor allem Australier. Aber auch jemand aus der Karibik. Er will Schiffskapitän werden und macht gerade die Ausbildung dazu. Ich dachte immer, die Leute dort seien dunkel. Aber nein, Travis war hellhäutig, blond - fast schon rothaarig, trank wie ein Schlot und hatte einen kleinen Bauchansatz - ich bin sicher, in einigen Jahrzehnten wird er einen perfekten "Käpt'n Iglu" abgeben ...
Bin abends noch in den "Seaforth Inn" gegangen. Habe dort auch meinen Schrimps-Spender wiedergetroffen. Die Leute sind dort ziemlich nett und umgänglich. Als ich mit dem Barkeeper gesprochen habe, hat der neben mir sitzende Engländer das Gespräch mit mir aufgegriffen ..... [...]
Der Abend verlief recht feuchtfröhlich und ich bekam mehrere Angebote, darunter auch einige, mich kostenlos mit auf die Inseln hinüberzunehmen oder mich einer Fischfangtour für einen Tag anzuschließen. Bedauerlicherweise mußte ich absagen .... hatte ja noch eine Verabredung mit Casey. Hier und auf Skye lief ich stark Gefahr, länger steckenzubleiben. Hier wegen der Landschaft, dort wegen der Freunde. Es wäre auch so gekommen, wenn mich mein Pflichtgefühl nicht an etwas erinnerte: Uni und Semesterbeginn.

Weiter geht es auf die Insel Skye, auf der man alle Jahreszeiten und Wetterumschwünge an nur einem Nachmittag erleben kann. Ein überraschender Tanzabend im Nirgendwo mit Techno und echten Gentleman/Leibwächtern. Schottisches Nightlife fern von der britischen Sperrstunde. Außerdem wird Bekanntschaft mit Aleister Crowley gemacht und unter einem Wasserfall hindurchgeklettert.